Seit Anfang des Jahres demonstrieren Millionen Menschen in Deutschland für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das ist zivilgesellschaftlicher Protest par excellence: nicht für Eigeninteressen, nicht für Anliegen einer kleinen Gruppe, sondern ein Für-Protest für die Basis eines guten Zusammenlebens. Entsprechend gelobt wird dieser Protest quer durch alle demokratischen Parteien. Dieses Engagement wird geradezu gefordert – aber leider nicht gefördert.
Zivilgesellschaftliches Engagement und Proteste fallen nicht vom Himmel. Ideen, etwas zu verändern oder zu unterstützen, entstehen schnell unter Bürgerinnen. Doch wenn es konkret wird, wenn aus einer ersten Initiative etwas Großes und Stetiges wird, dann sind es nicht mehr einzelne, die handeln. Sie brauchen eine Organisation. Neben der Versammlungsfreiheit gibt es deshalb auch die Vereinigungsfreiheit im Grundgesetz. Dennoch ist dieses Engagement schwierig – die Produktion von Zusammenhalt und Werten, die der demokratische Rechtsstaat braucht, aber selbst nicht schaffen kann. Die Summe der Organisationen, nicht der Bürgerinnen, das ist die Zivilgesellschaft. „Darf mein Sportverein eigentlich zur Demo gehen? Dazu aufrufen? Wir fürchten, dass wir unsere Gemeinnützigkeit verlieren, wenn wir uns so politisch engagieren.“ So fragen viele Vereine bei unserer Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ an. Tatsächlich ist das Problem hier nicht das Politische, sondern das Engagement über den Zweck hinaus: Was hat die Forderung nach Demokratie mit Sport zu tun?
Vor zwei Jahren haben wir zusammen mit anderen erreicht, dass die Finanzministerinnen per Erlass klargestellt haben: Vereinzelte Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen sind erlaubt. „Und was bedeutet vereinzelt? Ist der dritte Demo-Aufruf zu viel?“. Die Antwort darauf kann jedoch nur das Finanzamt geben – im Nachhinein, wenn es findet, dass es zu viel war.
Hier wird das Engagement für Demokratie nicht ausreichend gefördert. Ich bin überzeugt: Die Demonstrationen dieser Tage wären noch größer gewesen, wenn nicht in vielen Vereinen Unsicherheit bestehen würde, was das Gemeinnützigkeitsrecht erlaubt und was nicht.
Aber es geht noch weiter: Was tun, wenn ein Verein zu den Kosten einer Demo beitragen möchte, Geld an andere gemeinnützige Vereine weitergeben darf, aber die Veranstalterinnen einfach ein lockeres Personenbündnis sind? Ja, dann sollen diese doch einfach einen gemeinnützigen Verein gründen, meint dazu ein Bundestagsabgeordneter.
Aber welcher Zweck wäre passend? Menschenrechte, Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit – dazu steht nichts in Paragraf 52 der Abgabenordnung, der alle gemeinnützigen Zwecke auflistet. Politische Bildung passt auch nicht, hatte der Bundesfinanzhof im Attac-Urteil entschieden. Die „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“? Das sei aber nur der Fall, „wenn sich die Körperschaft umfassend mit den demokratischen Grundprinzipien befasst und diese objektiv und neutral würdigt“, meint die Finanzverwaltung.
Was ist mehr selbstlose Förderung der Allgemeinheit als das Engagement für Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit? Doch ein entsprechender Verein findet keinen passenden Zweck. Dadurch können andere Vereine nicht problemlos mit ihm kooperieren und er ist von den meisten Fördermitteln abgeschnitten.
Angesichts dessen sind die Lobreden auf das zivilgesellschaftliche Engagement scheinheilig, wenn gleichzeitig nicht umgesetzt wird, was die Ampel im Koalitionsvertrag vereinbart hat, nämlich gemeinnützige Zwecke zu ergänzen oder zu konkretisieren sowie Rechtssicherheit für politische Mittel für diese Zwecke zu schaffen. Das ist bisher nicht passiert und scheint derzeit nicht absehbar. Menschenrechte sind dann wohl doch nicht so wichtig.
Dabei zeigen die Gefahren für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, dass auch das Gemeinnützigkeitsrecht schleunigst ins 21. Jahrhundert gebracht werden muss.