Mit Kultur und Kulturpolitik Demokratie stärken

Soziokultur öffnet Räume und verbindet die Menschen

Wie können Städte dem gesellschaftlichen Klimawandel begegnen? Christina Stausberg, Hauptreferentin des Deutschen Städtetags für Kulturpolitik, zeigt in ihrem Beitrag, wie Kunst, Kulturpolitik und besonders soziokulturelle Zentren als „Dritte Orte“ Vertrauen schaffen, Diskurse ermöglichen und den sozialen Zusammenhalt stärken – gegen Polarisierung, für ein neues demokratisches Miteinander.

Das politische und gesellschaftliche Klima in unserem Land wird zunehmend durch polarisierende Auseinandersetzungen geprägt. Extreme und populistische Positionen werden hoffähig. Hass und Hetze vergiften immer mehr das Miteinander, in der Anonymität des Netzes, aber auch darüber hinaus. Vielfältige und komplexe Krisen wie die gerade erst überstandene Corona-Pandemie, die Klimakrise, die Kriege in der Ukraine und in Nahost sorgen für Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung.

In seinen Erwartungen an die neue Bundesregierung fordert der Deutsche Städtetag daher ein neues Miteinander und ein Besinnen auf die Bedeutung der Städte als Gestalterinnen vor Ort: Wenn die kommunale Infrastruktur funktioniert, wenn die Probleme vor Ort benannt und gelöst werden, gewinnen die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates. Dann gewinnt auch die Demokratie.

Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik

Welche Rolle spielen Kunst und Kultur in dieser Situation, und was ist die Aufgabe von Kultureinrichtungen wie soziokulturellen Zentren und kommunaler Kulturpolitik?

Kunst und Kultur wirken immer auch politisch. Unmittelbar, denn sie legen oftmals den Finger in die Wunde, thematisieren gesellschaftliche und politische Entwicklungen und Missstände. Mittelbar, indem sie die gesellschaftliche Debatte über aktuelle Themen und Fragen anstoßen und begleiten und zur Entwicklung von Haltungen und Werten beitragen.

„Soziokulturelle Zentren sind Dritte Orte, an denen gesellschaftliche Entwicklungen durch Kunst und Kultur diskutiert, reflektiert und gemeinsam verarbeitet werden.“

Christina Stausberg

Die Kultureinrichtungen in der Stadt sind Orte der interkulturellen Begegnung und bieten den Raum, damit sich die gesellschaftspolitische Wirkung von Kunst und Kultur entfalten kann. Theater, Bibliotheken, Museen, Archive, soziokulturelle Zentren und weitere kulturelle Bildungseinrichtungen greifen mit ihren Angeboten gesellschaftspolitisch relevante Themen auf, setzen sich künstlerisch damit auseinander und entwickeln Formate für Auseinandersetzung und Diskurs, zum Beispiel Theaterproduktionen, Performances, Ausstellungskonzepte und Diskussionsveranstaltungen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur politischen Willensbildung, zum demokratischen Konsens und zu einem friedlichen Zusammenleben.

Die (kommunale) Kulturpolitik unterstützt diese demokratische Funktion, indem sie die kulturelle Infrastruktur vorhält und weiterentwickelt, Kunst und Kultur unterstützt und stärkt und (Frei-)Räume für ihre Entfaltung schafft.

Soziokulturelle Zentren verbinden die Menschen in der Stadt

Besonders die soziokulturellen Zentren erreichen mit ihren niederschwelligen Angeboten die Menschen in der Stadt und im Stadtteil, unabhängig von Herkunft oder sozialer Stellung. „Kultur für alle“ ist ihnen ein essenzielles Anliegen. Sie fungieren als Dritte Orte, als offene Anlaufstellen in den Stadtteilen, und greifen aktuelle Themen auf, die die Menschen bewegen. Gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen werden mithilfe von Kunst und Kultur diskutiert, reflektiert und gemeinsam verarbeitet. Damit leisten die Zentren einen unverzichtbaren Beitrag für die Demokratie vor Ort, der jetzt wichtiger ist denn je.

„Soziokulturelle Zentren erreichen mit ihren niederschwelligen Angeboten die Menschen im Stadtteil – unabhängig von Herkunft oder sozialer Stellung.“

Christina Stausberg

Ebenso wie andere Kultureinrichtungen stehen jedoch auch die soziokulturellen Zentren vor der Herausforderung, nicht selbst zum Treiber von Polarisierung zu werden. In der zum Teil aufgeladenen gesellschaftlichen Stimmung nehmen Kunst und Kultur natürlich Stellung und beziehen Position zu aktuellen Fragen. Die Einrichtungen stehen vor der Herausforderung, diese Positionierungen einerseits zu ermöglichen, andererseits aber auch für das Einhalten demokratischer Spielregeln und Grundwerte einzutreten und Diskriminierungen entgegenzutreten. Nur so können die Tür für den Diskurs offengehalten und neue Brücken gebaut werden.

Dies wird umso schwerer, je größer der Einfluss und der Druck auf den Kultursektor werden, die „richtige“ Kultur zu betreiben beziehungsweise zu ermöglichen. Von verschiedenen Seiten wird Einfluss genommen, und es tobt geradezu eine Art Kulturkampf um das, was richtig und falsch ist. Dem Leitbild eines offenen, progressiv-liberalen Gesellschaftsmodells wird ein geschlossenes Weltbild und eine konservative Leitkultur entgegengestellt. Aber auch im Namen von Vielfalt und Diversität wird Einfluss auf die Kultur genommen, ein Kunstwerk etwa als frauenfeindlich abgehängt oder ein Buch als rassistisch seinem historischen Kontext entkleidet. Öffentliche Kultureinrichtungen haben die Aufgabe, Diskursräume für die Stadtgesellschaft zu öffnen, gleichzeitig müssen sie aber grundgesetzlich geschützte Rechte wahren und Diskriminierungen Einhalt gebieten. Der Grat zwischen Kunstfreiheit und Gesinnungsprüfung ist schmal.

Dritte Orte als Zukunftsmodell

Das Modell des Dritten Ortes hilft dabei, bessere Städte und Regionen zu bauen, so Katja Drews in ihrem Artikel im Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/2020.[1] Ursprünglich ein stadtsoziologisches Konzept, werden die Potenziale des Ansatzes zunehmend für den Kultursektor entdeckt. Damit treten zu den zunächst eher gesellschaftlichen Aspekten auch kulturelle Nutzungen in den Fokus. Neben Bibliotheken, die häufig als Dritte Orte fungieren, nehmen diese Funktion bislang vor allem soziokulturelle Zentren wahr. Sie bieten neben dem geselligen Beisammensein und oft einem gastronomischen Angebot einen niederschwelligen Zugang zu kulturellen Angeboten. Sie dienen damit als Vorbild für andere Kultureinrichtungen wie Museen und Theater, die sich ebenfalls öffnen und ihre Räumlichkeiten zunehmend der Stadtgesellschaft für neue und andere Nutzungen zur Verfügung stellen.

Für die Städte spielen solche Orte eine essenzielle Rolle – erhofft man sich doch durch den Dritten Ort gleichzeitig eine Verbesserung der kulturellen Teilhabe als auch eine Belebung der Innenstadt und der Stadtteile. Der Deutsche Städtetag hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturrat und weiteren Verbänden in seinem Papier „Lebenswerte Innenstädte mit Zukunft“ unterstrichen, dass Kunst und Kultur als Dritte Orte Räume für Begegnung eröffnen können, für das Miteinander, für den Diskurs der Stadtgesellschaft, und, dass sie unverzichtbare Bestandteile von kommunalen Bildungslandschaften sind. „Dritte Orte erzeugen Community – und andersherum: Communities produzieren Dritte Orte.“[2]

Der Städtetag Nordrhein-Westfalen hat in seinem Papier „Kultur und Stadtentwicklung“ unterstrichen, dass Kulturpolitik, Stadtplanung und Sozialplanung die Entstehung von solchen Dritten Orten unterstützen können, indem sie die Voraussetzungen dafür schaffen – am besten in gemeinsamer Verantwortung und mit Vernetzung der jeweiligen Handlungsfelder.

„Ihre Arbeit ist für das kommunale Gemeinwesen unverzichtbar – Bund, Länder und Kommunen sollten sie als Teil der kulturellen Infrastruktur sichern und stärken.“

Christina Stausberg

Wesentlich ist dabei die Bereitstellung von öffentlich verfügbarem Raum. Dabei geht es nicht zwangsläufig um die Bereitstellung neuer Räumlichkeiten, vielmehr können bestehende Kultureinrichtungen sich auch öffnen und zu Dritten Orten weiterentwickeln. In einer Zeit, die ganz auf Effizienz und Spezialisierung ausgerichtet ist, erfordert dies jedoch ein Umdenken – Öffnungszeiten müssen ausgedehnt, Räume zweckfrei zur Verfügung gestellt, multifunktionale Nutzungen ermöglicht, die sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Menschen mitgedacht werden. Die besondere Atmosphäre eines Dritten Ortes muss sich entwickeln können. Kunst und Kultur scheinen sich dafür in besonderer Weise zu eignen, indem sie Menschen zusammenbringen, Anlässe für den Diskursgeben, neue Impulse liefern und ein gemeinsames Erlebnis bieten.

Soziokultur: Unverzichtbarer Teil der kulturellen Infrastruktur vor Ort

Die Soziokultur und damit die soziokulturellen Zentren erfahren angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Umbrüche durch die Zuwanderung, die Globalisierung, die Digitalisierung, den Klimawandel und viele andere Herausforderungen einen erheblichen Bedeutungszuwachs. Seit jeher fungieren sie als Dritte Orte, als Orte, an denen sich alle Menschen unabhängig von Herkunft und sozialer Stellung begegnen und austauschen können. Sie helfen dabei, die gesellschaftlichen Entwicklungen über den Weg der Kunst und Kultur vor Ort zu diskutieren, zu reflektieren und zu bewältigen. Ihre Arbeit ist für das kommunale Gemeinwesen unverzichtbar. Bund, Länder und Kommunen sollten in einem neuen Miteinander dazu beitragen, sie als Teil der kulturellen Infrastruktur vor Ort zu sichern und zu stärken.


[1] Drews, K. (2020). Zuhause am „Dritten Ort“: Beheimatungen an informellen Treffpunkten durch Kultur. In N. Sievers, U. Blumenreich, S. Dengel, & C. Wingert (Hrsg.), Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/2020 (S. 355-359), S. 358, Bielefeld: Transcript.

[2] Drews, K. (2020). Zuhause am „Dritten Ort“: Beheimatungen an informellen Treffpunkten durch Kultur. In N. Sievers, U. Blumenreich, S. Dengel, & C. Wingert (Hrsg.), Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/2020 (S. 355-359), S. 358, Bielefeld: Transcript.

Christina Stausberg

Christina Stausberg ist Hauptreferentin für Kulturpolitik beim Deutschen Städtetag im Dezernat für Bildung, Kultur, Sport und Gleichstellung. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit dem Abschluss Magistra Artium. Nach der Tätigkeit in verschiedenen kommunalen Aufgabenfeldern wechselte sie 2006 zum Deutschen Landkreistag und später zum Landkreistag Nordrhein-Westfalen. Seit 2011 ist sie für den Deutschen Städtetag tätig.