Edda Rydzy: Wir haben immer wieder festgestellt, dass sich weder die Zunahme rechtsextremer Gewalt noch die steigenden Zustimmungsraten für die AfD allein aus sozialen Schieflagen erklären lassen. Baden-Württemberg zeigt das besonders deutlich. Das hier erzielte jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt mit mehr als 27 000 Euro nach Bayern an zweithöchster Stelle in Deutschland. Das Pro-Kopf-Geldvermögen rangiert mit etwa 64 000 Euro 22 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Dennoch verzeichnet die AfD von allen westlichen Bundesländern im Südwesten die stabilsten Sympathiewerte.
Laila Koller: Es stimmt, Rechtsextremismus kommt in allen sozialen Schichten vor. Von der sozialen Situation der Bevölkerung lässt sich nicht direkt auf rechte Entwicklungen schließen. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass aus drohenden sozialen Verwerfungen keine politischen Rechtsrucks folgen können.
Edda: Genau solche Verwerfungen stehen in eurem Bundesland bevor.
Laila: Ja, im letzten Jahr haben sich die Hiobsbotschaften für unsere stark exportorientierte Wirtschaft gehäuft. Baden-Württemberg ist vom Rückbau der Automobilhersteller und ihrer Zulieferer, der Maschinenbauer und High-Tech-Firmen wie Bosch stark betroffen. Das löst Existenzängste aus. Orte wie Sindelfingen oder Böblingen sind ja fast Markennamen für diese Entwicklung. Die Leute dachten, sie haben ihren gut bezahlten Arbeitsplatz bis zur Rente, sie haben sich Häuser gebaut und Familien gegründet. Jetzt müssen sie Kredite bedienen und ihre Kinder durch die Ausbildung bekommen. Selbstverständlich fürchten sie sich vor Abstürzen ins Ungewisse.
Edda: Spürt ihr schon Änderungen in der allgemeinen Stimmungslage?
Laila: Ja, sie ändert sich. Bei vielen Entscheidungsträgern mehren sich die Ängste vor dem Rechtsruck, und statt beherzt dagegen zu steuern, werden rechte Narrative bedient. Aber im Moment stehen uns noch keine massiven Kürzungen in der Kultur ins Haus. Falls die Kommunen wegen sinkender Steuereinnahmen sparen müssen, kann das noch kommen.

UTOPOLIS-Projekt bei zeitraumexit © zeitraumexit | Laila Koller © Marc Doradzillo
Edda: So manche erklären im aktuellen Wahlkampf, den Arbeitsplatzabbau mit Bürokratieabbau, sinkenden Energiepreisen und Steuernachlässen für die Industrie richten zu wollen. Versprichst du dir davon etwas?
Laila: Eher nicht. Das alles ändert ja nichts daran, dass junge Leute in Großstädten eigene Autos zunehmend als unnötigen Ballast empfinden, dass die Älteren in ländlichen Räumen zwar auf ihre Autos angewiesen sind, aber beim Kauf derzeit abwarten. Im E-Auto-Bereich ist viel Verunsicherung entstanden und China wirft viel günstigere E-Autos auf den Weltmarkt. Dazu kommt, dass die Politik der USA auf Abschottung setzt. Uns stehen größere strukturelle Änderungen bevor.
Edda: Das bedeutet für die Soziokultur Stress aus zwei Richtungen. Zum einen schrumpfen mit den sinkenden Gewerbesteuern auch die kommunalen Haushalte, zum anderen ist sie das erklärte Angriffsziel der AfD. Macht sich das schon bemerkbar?
Laila: Sicher. Es gab Kleine Anfragen der AfD im Landtag. Bei der ersten 2018 ging es um die Finanzierung des Landesverbands. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst sollte Auskunft darüber geben, ob es wusste, dass die LAKS sich vor der Wahl 2017 gegen die AfD ausgesprochen hatte. Die zweite Kleine Anfrage bezog sich auf die Aktivitäten des DemoZ Ludwigsburg. Ihm wurde zeitweilig wegen politischer Positionierung gegen rechts die Gemeinnützigkeit entzogen.
Aber: Da wir gerade erst Kommunalwahlen hatten, stehen die Mehrheiten in den Stadt-, Gemeinde- und Kreisräten erst einmal fest. Bislang werden nur vereinzelt, wie etwa in Ludwigsburg, selbst kleinere Erhöhungen im Kulturbereich abgelehnt, die lediglich einen Inflationsausgleich bedeuten. Andere Städte haben Zentren neu in die Förderung genommen und für manche auch die Förderung erhöht.
Edda: Im gegebenen bundesdeutschen Umfeld erscheint das fast als Luxus. Ihr habt ja die 2:1-Regelung – das heißt auf jeden kommunal in Kultur investierten Euro legt das Land 50 Cent drauf. Eure Mitgliedseinrichtungen haben erst mal relative Sicherheit.
Laila: Die Betonung liegt auf erst mal. 2026 wird unser Landtag neu gewählt. Seine zu erwartende Zusammensetzung lässt sich nur im Kaffeesatz lesen. Aber der Haushalt für die nächsten zwei Jahre ist beschlossen und kommt so. Er sieht für die Soziokultur sogar eine kleine Erhöhung vor.
Als Korrektiv sind wir dringender denn je auf funktionierende Kommunikation über die sozialen Schichten und Bubbles hinweg angewiesen. Da spielt Soziokultur eine für die Gesellschaft existenzielle Rolle. Das scheinen trotz alledem viele in der Politik nicht zu begreifen.
Laila Koller
Edda: Von finanzieller Sicherheit kann man trotzdem nicht unbedingt sprechen.
Laila: Eine angemessene Finanzierung und Planungssicherheit sind wichtig. Aber sie sind ja Mittel zum Zweck. Und für unseren Zweck reichen die Mittel eben oft nicht aus. Auch wir müssen unser Personal fair bezahlen. Von den Relationen innerhalb der Kulturfinanzierung kann man nur Kopfschmerzen bekommen. Berlin füttert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zulasten aller anderen Kulturträger. Bei uns erreicht die Sanierung der Stuttgarter Oper ein absurd hohes Kostenvolumen. Alles ohne Rücksicht darauf, wer durch diese Institutionen überhaupt erreicht wird.
Edda: Du spielst auf den Zustand der Gesellschaft im Zeitalter von Social Media und Fake News an?
Laila: Das ist ein wichtiger Punkt. Die durchschlagenden Änderungen in der medialen Kommunikation haben ja drastische Folgen. Man kann eben nicht mehr davon ausgehen, dass die große Mehrheit geprüfte Fakten als echte Nachrichten zur Kenntnis nimmt. Große Teile der politischen Meinungsbildung finden im Rahmen von Social Media statt. Das Musk-Weidel-Gespräch auf X hat die Aufmerksamkeit für Weidels Account um das Achtfache erhöht. Die Umfragewerte der AfD haben sich anschließend um mehr als 2 Prozent erhöht. Jetzt will auch noch Zuckerberg die Faktenkontrolle abschaffen.
Als Korrektiv sind wir dringender denn je auf funktionierende Kommunikation über die sozialen Schichten und Bubbles hinweg angewiesen. Da spielt Soziokultur eine für die Gesellschaft existenzielle Rolle. Das scheinen trotz alledem viele in der Politik nicht zu begreifen.
Edda: Die Akteur*innen der Soziokultur haben ein umso deutlicheres Gespür dafür.
Laila: Nicht nur das. Sie sind auch täglich mit den Auswirkungen der politischen Entwicklung nach rechts und nicht selten mit rechtsextremer Gewalt konfrontiert. Da ruft zum Beispiel die AfD dazu auf, Veranstaltungen des Club Manufaktur in Schorndorf zu besuchen und dort Ärger zu machen. Oder sie will sich mit eigenen Veranstaltungen in unseren Mitgliedseinrichtungen einmieten. Kabarettist*innen und Künstler*innen kommen teilweise schon mit Personenschutz, weil sie bedroht werden.
Es gibt ein brennendes Interesse, sich damit auseinanderzusetzen.
Edda: Deshalb hattet ihr als Landesverband für Anfang Dezember einen Workshop geplant.
Laila: Innerhalb sehr kurzer Zeit gab es 48 Anmeldungen. Es wollten also mehr als die Hälfte unserer 78 Mitgliedseinrichtungen teilnehmen. Dazu kommen sechs externe Teilnehmer*innen.
Wegen Krankheit des Referenten konnte der Workshop im Dezember nicht stattfinden. Wir haben ihn auf das Frühjahr verschoben.
Wir können vorleben, dass demokratische Spielregeln mehr Respekt und Augenhöhe sichern, dass sie auf lange Sicht auch klüger sind als autokratische oder manipulative Strukturen.
Laila Koller
Edda: Das Thema war auch Gegenstand eurer letzten Mitgliederversammlung.
Laila: Deshalb kam es ja dazu, dass wir den Workshop geplant haben. Die Situation ist erstens nicht überall gleich, zweitens werden immer wieder Rechtsfragen berührt, für die wir Klarheit brauchen. Da ist zum Beispiel die Frage: Laden wir die AfD bewusst zu Podiumsdiskussionen ein, um sie zu entlarven, oder bieten wir ihren Vertreter*innen besser keine Bühne, weil sie sowieso die Realität verdrehen und immer als Opfer oder Sieger rausgehen? Es gibt nicht die eine Antwort für alle. Wir sehen deutliche Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und großen Städten. In kleinen Gemeinden kennen sich die Leute seit dem Sandkasten. Die Aktiven unserer Mitgliedseinrichtungen können dort die Kommunikation mit AfD-Sympathisant*innen oder -anhänger*innen gar nicht einfach abbrechen oder sie ausschließen. In den Städten geht es oft darum, queere Menschen oder andere vulnerable Gruppen zu schützen. Fast die Hälfte (48 Prozent) der Stuttgarter Einwohner*innen hat einen Migrationshintergrund. Darunter gibt es auch sehr konservative russische oder türkische Milieus. Es geht nicht nur um das Deutsch-Nationalistische. Die Gemengelage, auch im Zusammenhang mit der Zustimmung zur AfD, ist komplexer.
Edda: Was sind in diesem Zusammenhang Rechtsfragen, für die ihr Sicherheit braucht?
Laila: Gibt es zum Beispiel Satzungsänderungen, die empfohlen werden können, um Rechtsextreme aus dem Verein auszuschließen, oder ist es möglich, von zu wählenden Beiräten zu verlangen, dass sie gewisse Grundsätze unterschreiben? Oder: Müssen Ablehnungen bei Mietanfragen begründet werden? Wie kann man AfD-Veranstaltungen ablehnen beziehungsweise AfD-Politiker*innen von Veranstaltungen ausschließen, ohne die Gemeinnützigkeit zu gefährden?
Edda: Woher nimmst du in dieser Zeit deinen Optimismus?
Laila: Aus der demokratischen Struktur unserer Vereine. Wir können vorleben, dass demokratische Spielregeln mehr Respekt und Augenhöhe sichern, dass sie auf lange Sicht auch klüger sind als autokratische oder manipulative Strukturen.