Politisiert euch!

Neue Wege politischer Arbeit für soziokulturelle Zentren

Juni 24
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Zwischen Kontinuität und Veränderung

Die Welt scheint immer komplizierter, immer schneller zu werden. Spätestens seit Beginn der Pandemie sind Schlagwörter wie „Klimakrise“, „multiple“ oder „globale Krise“ oder auch „Dauerkrise“ in aller Munde. Einige Menschen fühlen sich überlastet, wählen das Ausblenden als strategischen Umgang mit der aktuellen Weltsituation oder ziehen sich gar aus Angst vor einer weiteren Verschlimmerung aus dem sozialen Leben zurück.

Soziokultur hat sich seit jeher so verstanden, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen, zu diskutieren oder auch durch selbst gesetzte Impulse Debatten anzustoßen, sie trägt dieses Selbstverständnis sozusagen in ihrer DNA. Eigentlich. Denn über die Jahre und Jahrzehnte verändern sich die Rahmenbedingungen, in denen Soziokultur agiert (hat), verändern sich die Menschen, die soziokulturell arbeiten. Nur „weil das schon immer so war“, heißt es ja nicht, dass es auch für immer so bleiben muss.
Soziokultur bedeutet also auch das Bedürfnis nach kontinuierlicher Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen sowie, eben diesen Bedarf an politischer und aktivistischer Arbeit zu erfüllen. So ist das Projekt „politisiert euch!” aus der Zusammenarbeit mehrerer soziokultureller Zentren in Nordrhein-Westfalen entstanden.

Neue Wege politischer Arbeit

Mittlerweile engagieren sich zwölf Zentren aus ganz Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer AG bei „politisiert euch!“. Dabei ist dieser Zusammenschluss weder vorab konzeptionell festgeschrieben worden, noch handelt es sich während der Projektlaufzeit um einen geschlossenen Kreis. Im Gegenteil, „politisiert euch!“ lebt von der lebendigen Beteiligung und der Erweiterung, um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden: politisch und gesellschaftlich aktiv zu sein und damit zu lokalen Veränderungen und Verbesserungen des Zusammenlebens beizutragen.

Seit Herbst 2022 wird dieses Vorhaben im Rahmen der Konzeptförderung der Soziokultur NRW gefördert. Koordiniert wird es von einer Projektleitung mit einem Umfang von 19,5 Stunden pro Woche sowie einer Projektmitarbeit auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung. Eines der Hauptziele ist die Erprobung neuer Wege politischer Arbeit für soziokulturelle Zentren in Nordrhein-Westfalen. Damit einher geht auch die Überprüfung der Bedarfsanalyse, unter welchen Rahmenbedingungen Zentren ihrem genannten Anspruch nachkommen können und welche Synergieeffekte sich aus einem solchen Zusammenschluss ergeben (können). Auf dieser Grundlage können dann weitere konzeptionelle Planungen zur soziokulturellen Bildungsarbeit erarbeitet werden, die nachhaltig existieren.

Verhaltet euch, wandelt euch, zeigt euch

Doch wie sieht die praktische Arbeit bei „politisiert euch“ aus? Das Konzept beruht auf drei inhaltlichen Säulen: „Verhaltet euch!“, „Wandelt euch!“ und „Zeigt euch!“.

Zur ersten Säule zählt die AG „politisiert euch!” selbst, bestehend aus Mitarbeitenden der beteiligten Zentren. Die AG trifft sich einmal im Quartal und diskutiert über aktuelle politische Themen und mögliche Veranstaltungsformate. Sie stimmt auch ein jährliches Hauptthema ab, zu dem eine Agenda erarbeitet wird. Dadurch werden die Zentren in ihrer politischen Haltung nach außen gestärkt.

Bei „Wandelt euch!“ greift der konzeptionelle Gedanke der Transformation – „Nichts bleibt für immer, wie es ist.“ Denn programmatischer und struktureller Wandel bedingen sich gegenseitig. Welche Möglichkeiten haben Mitarbeiterinnen zur politischen Lenkung und Positionierung des eigenen Kulturzentrums? Welche konkreten Schritte – etwa in der Programmplanung oder in der Auswahl von Kooperationspartnerinnen – sind also nötig, um sich stärker zu aktuellen politischen Themen zu positionieren?

Diskussion der Workshopteilnehmer*innen © Julia von Lindern/Katharina Mayer

Im dritten Teil „Zeigt euch!“ sollen die soziokulturellen Zentren auf Grundlage der gewählten Ausrichtung für das Jahr Veranstaltungen mit politischem Bezug konzipieren und umsetzen. Diese werden insbesondere über den Instagram-Kanal @politisierteuch sichtbarer gemacht, um auch junge Menschen zu erreichen. Grundsätzliche Zielgruppen für „politisiert euch!“ sind also Mitarbeitende und Aktive soziokultureller Zentren, aber auch Nichtnutzer*innen der Soziokultur, die insbesondere über Social Media erreicht werden können.

Vernetzt gegen rechts

Um es konkret zu machen: Der Rechtsruck in unserer Gesellschaft wurde im Sommer letzten Jahres von allen beteiligten Zentren als massive Bedrohung auf verschiedenen Ebenen ausgemacht: durch rassistische und rechte Äußerungen von Gästen innerhalb der Zentren; durch vorab von Rechten organisierte Kundgebungen vor Veranstaltungen, beispielsweise vor queeren Lesungen in Büchereien; durch Störungen von Veranstaltungen oder auch durch politische Anfragen auf kommunal- und landespolitischer Ebene.

Aufgrund dieser Entwicklung wurde eine Agenda erarbeitet, die zunächst über die politischen Strategien der extremen Rechten informiert und dann das Argumentieren und Handeln in den Fokus rückt. Eine spannende Erkenntnis aus dieser Workshopreihe war, dass Zentren zwar ähnliche Erfahrungen in ihren Städten machen mussten, aber nichts von den Angriffen auf ihre Kolleg*innen in anderen Städten wussten. Der Austausch darüber und das Gefühl, nicht allein zu sein, hat zu einer wichtigen Stärkung beigetragen und zu dem Workshopformate „Vernetzt gegen rechts“ geführt. Das wird dringend gebraucht, denn die extreme Rechte hat die Kultur seit einigen Jahren als politisches Feld für sich entdeckt, mit dem Ziel, Vielfalt und Kreativität zu zerstören und durch ihre Ideologie und ihre Vorstellungen von „Heimat“ zu ersetzen. Bibliotheken, Kulturzentren, queere Jugendzentren, Theater – sie alle werden politisch von rechts angegriffen.

Die AG „politisiert euch!“ möchte mit „Vernetzt gegen rechts“ einen Impuls setzen, Räume zu öffnen, um in Diskussionen gegen antidemokratische Tendenzen einzutreten, sich gegenseitig in der Arbeit zu stärken, lokale Netzwerke zu unterstützen, Solidarität aufzubauen und Handlungsoptionen zu entwickeln.
Gerade daran ist das Interesse der Kultureinrichtungen groß. Dennoch zeichnet sich eine Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis nach politischer Vernetzung einerseits und personellen Ressourcen andererseits ab, was zeigt, wie wenig Kapazitäten bei einigen Kultureinrichtungen vorhanden sind. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit des Austauschs betont, gerade auch über die Grenzen der soziokulturellen Zentren hinaus, und die daraus erwachsenen Netzwerke werden als sehr wertvoll und hilfreich in der alltäglichen Arbeit eingeschätzt. Mit „politisiert euch“ ist es beispielsweise bereits im ersten Jahr gelungen, gute und tragfähige Kooperationen zwischen den Zentren, der Soziokultur NRW und den mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus aufzubauen.

In Anbetracht der aktuellen politischen Situation ist Vernetzung dringend geboten, um eine wehrhafte Demokratie zu erhalten. In diesem Sinne – politisiert euch!

Julia von Lindern

ist Sozialarbeiterin und arbeitet beim Straßenmagazin „fiftyfifty“ als Streetworkerin. Zudem ist sie Lehrbeauftrage an der Hochschule Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften.