Inklusiv, flexibel, anpassbar

Nachbarschaftsentwicklung in Mannheim

In Mannheim werden Stadtteilaktivitäten in einem gesamtkommunalen Förder- und Steuerungskonzept entwickelt. Über diesen Prozess und seine Ziele unter Berücksichtigung von Stadtteilplanung, Nachbarschaftsentwicklung und bürgerschaftlichem Engagement
Oktober 22
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Kultur und Kreativität sind Treiber der Stadtentwicklung. Auf diese Prämisse baut NEXT MANNHEIM – das Startup-Ökosystem für urbane Innovation. Dr. Matthias Rauch leitet bei der 100%igen Tochtergesellschaft der Stadt Mannheim die Bereiche Kulturelle Stadtentwicklung und Kultur- und Kreativwirtschaft. Seine Aufgabe umfasst die Förderung und Begleitung des gesamten städtischen Gründungs- und Innovationsökosystems in Mannheim. Dabei wird interdisziplinär gearbeitet und es werden unterschiedliche Denkweisen und Expertisen aus Kunst, Kultur, Technologie, Wirtschaft und Wissenschaft in einem ganzheitlichen Ansatz zusammengebracht, (weiter-)entwickelt und prozessbegleitend moderiert.

Matthias Rauch

Im Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft geht es vorrangig um die Verfolgung klassischer Wirtschaftsförderziele. Im Bereich der Kulturellen Stadtentwicklung finden „weichere“ Kriterien ihre Anwendung. Hier geht es um Fragen, die eine erfahrbare Wirkung auf die Menschen im Stadtteil hat: „Welche Funktion hat der öffentliche Raum? Wie können wir Aufenthaltsqualitäten steigern beziehungsweise Räume inklusiver gestalten, vielschichtiger machen oder vorherrschende Codierungen aufbrechen“, erläutert Rauch in Bezug auf die Zielsetzung.

Die „Creative Placemaking“- Projekte sind ein Steuerungsinstrument bei NEXT Mannheim und unterstützen bürgerschaftlich Engagierte dabei, Vorhaben umzusetzen, die eine Belebung von Plätzen und Räumen in unterschiedlichen Stadtteilen auf Basis von künstlerischen, kreativen und kulturellen Interventionen zum Ziel haben. Hier sieht Rauch auch eine direkte Verbindung zur soziokulturellen Praxis: „Soziokultur hat eine große Erfahrung in der Aneignung von Räumen und bringt unterschiedlichste Personengruppen zusammen.“

Im Förderfokus des „Creative Placemaking“ stehen zunächst Orte, die eine kulturelle Stärkung bedürfen. Ideen bzw. Anträge für Umsetzungen werden bei Rauchs Abteilung eingereicht. Dafür stehen seit 2022 erstmalig Mittel im mittleren fünfstelligen Bereich zur Verfügung. Eine spartenüberreifende Jury entscheidet über die Förderung. Aktuell konzentriert sich diese auf die Vielfaltsquartiere Neckarstadt-West und Jungbusch.

Die Belebung des Alten Messplatzes nahe des Neckars ist eine beispielhafte Erfolgsgeschichte. Der ehemalige Problemplatz ist inzwischen von einem lokalen Nachbarschaftstreff zu einem stadtteilübergreifenden Treffpunkt mit Bewegungs- und Kulturangeboten gereift. Ein klassischer dritter Ort, den Menschen aus unterschiedlichsten Milieus ohne Konsumzwang nutzen. Ein Bike-Repair-Angebot hilft beim handwerklichen und niedrigschwelligen Instandsetzen des Fahrrads. Um den gemeinnützigen Betrieb der Fläche zu sichern, wurde ein Verein gegründet.

„Die Projekte sollen schlaglichtartig Inspirationen und Impulse geben und dazu beitragen, dass sich weitere bürgerschaftliche Initiativen formieren.“, sagt Rauch. „Wichtig ist der Austausch darüber, welche Möglichkeiten der Ort bietet, welche Aktivitäten dort stattfinden können und welche Bedarfe in der direkten Anwohnerschaft bestehen.“ Jeder Stadtteil besitzt dabei eine Eigenlogik. Rauch baut auf das Konzept von „Experiment und das Zulassen von Scheitern“ als die geeignete Förderkonstruktion, um Innovation im Stadtteil überhaupt ermöglichen zu können.

Auch wenn die Projekte erst einmal nur temporären Charakter besitzen, besteht der nachhaltige Effekt in der im Prozess stattfindenden Netzwerk- und Perspektivenbildung. Notwendigerweise ist der Umsetzungsprozess ko-kreativ angelegt, d.h. übergreifende Sparten- und Netzwerkpartnerinnen sind in der Ideenfindung und Durchführung mit eingebunden. Rauch verweist auf die inhärenten soziokulturellen Arbeitsweisen: „Soziokultur ist erprobt in Netzwerken zu arbeiten. Ihre Angebote sind inklusiv, flexibel und anpassbar,“ und resümiert, „Soziokultur sollte eine zentrale Akteurin bei der Transformation von Städten sein.“

Mannheim geht diese Transformationsprozesse unter professionellen Bedingungen mit einem hohen personellen und finanziellen Aufwand an. Die Placemaking-Förderprojekte sind dabei neben der zusätzlichen Unterstützung der Nachtökonomie und die Betreuung der Gründerinnen-Community inklusive der Bereitstellungsmöglichkeiten von Arbeitsflächen und Besprechungsräumen nur eines von mehreren wichtigen inhaltlichen Komponenten von NEXT Mannheim, die eingebunden sind in einen viel größeren Stadtentwicklungsprozess, der sich auf kommunaler Ebene „Lokale Stadterneuerung“ nennt. Bis zu 25 verschiedene Akteurinnen und Akteure sowie Fachbereiche sitzen dabei zusammen, um aktuell die Vielfaltsquartiere weiterzuentwickeln. „Gute Stadtteilentwicklung ist immer interdisziplinär. Es müssen immer höchst unterschiedliche Perspektiven und Wissensbestände abgerufen werden, um die Stadtteile Neckarstadt-West und Jungbusch ganzheitlich und nachhaltig zu entwickeln. Nicht nur Planer und Architekten, sondern die Kultur wie die Soziokultur, das Kulturamt, die Kultur- und Kreativwirtschaft, aber auch die Wirtschaftsförderungen, das Amt für Grünanlagen, das Amt für Sicherheit und Ordnung und die Polizei sollten beteiligt sein.“ Ein moderationsintensiver Prozess, der den Beteiligten eine gewisse Disziplin abverlangt. Kommunikations- und Mediationsfähigkeiten zwischen unterschiedlichen Positionen sind ebenso unabdinglich wie ein Erwartungsmanagement, das den Prozess wiederkehrend reflektiert und aktualisiert, „auch um reine ‚Meckerrunden‘ zu vermeiden“. Eine herausfordernde Aufgabe in einem komplexen Steuerungsprozess in der Weiterentwicklung von Mannheims internationalen Nachbarschaften.


Dr. Matthias Rauch ist seit 2020 Leiter des Bereichs „Kulturelle Stadtentwicklung & Kultur- und Kreativwirtschaft “ bei NEXT Mannheim. Seit über 20 Jahren freier Autor für Print- und Online-Medien. Seit 2020 ist er Sprecher der Regionalgruppe Rhein-Neckar der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.

Matthias Rauch initiierte und konzeptionierte die erste Nachtbürgermeister-Position Deutschlands für die
Stadt Mannheim. Hier sein Beitrag im Rahmen der Web-Talk der Kulturpolitischen Gesellschaft 2022 „The Wind of Change? Auf dem Weg zu einem neuen Selbstverständnis der Soziokultur?“.


CARSTEN NOLTE ist Referent bei Soziokultur NRW

Carsten Nolte

ist Referent bei Soziokultur NRW