Getrost der Dinge harren

Der Hermannshof in Zeiten von Corona

April 21
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In Völksen am Deister, 25 Kilometer südwestlich von Hannover, liegt der Hermannshof. 1920 realisierte der Möbelfabrikant Hermann Rexhausen eine Vision des Künstlers Bernhard Hoetger und schuf ein Gesamtkunstwerk aus Landschaft, Kunst und Bauwerk. Das Ensemble – seit 2007 Kulturdenkmal – besteht aus einem beeindruckenden Sommerhaus und umgebenden Gebäuden, einem Landschaftspark mit altem Baumbestand und Obstwiesen, der von zwei Steinbrüchen begrenzt wird, und einem Teepavillon. 2003 wird zusätzlich das „Haus im Park“ als Veranstaltungszentrum und Dach für die Kultur im Park erbaut.

Schon seit 1992 pflegt der Verein Kunst und Begegnung Hermannshof e.V. das historische Erbe und inszeniert hier die Begegnung mit der Kunst und den Künstler*innen von heute. Er bezieht alle mit ein: Junge und Alte, Vereine und Schulen, Menschen vom Dorf und aus der Stadt. Der historische Sommersitz versprüht noch heute eine vergnügliche, heitere Atmosphäre.

Seit 2001 bin ich Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des Hermannshofs. Möglich machte dies das dreijährige Qualifizierungsprogramm der LAGS Niedersachsen „Kultur im ländlichen Raum“. Ich erlebe diesen Ort als Raum für Muße und Zeit, für Sinnesglück und Geisteslust, vor allem aber für Kunst und die Begegnung mit Künstlerinnen, Kulturfreundinnen, Interessierten und Nachbar*innen.

Coronäre Merkwürdigkeiten

Im März 2020 – mit dem ersten Lockdown – wird alles anders. Es ist eine „verrückte“ Welt: keine persönlichen Treffen, keine Kulturveranstaltungen, daheimbleiben. Was dahintersteht, ist für mich, für uns die Aufforderung zum Loslassen und vor allem zum Seinlassen. Vorher noch Dringendes wird plötzlich obsolet und fällt unter den Tisch. Die „Corona-Auszeit“ schafft einen Raum, den der Kultur-Alltag vorher nicht zugelassen hat, im ständigen Spagat zwischen Antragstellung, Projektorganisation und Abrechnung. Plötzlich wird dieser Zustand deutlich und benennbar und wir planen einen Ausbruch. Woraus? Aus der Omnipräsenz in der explorierenden Medienlandschaft in der Kontroverse von permanentem Vermittlungswunsch bei inzwischen latenter Kulturmüdigkeit. Alles klar soweit? Die Krise als Chance!

Jetzt ist die Zeit, ruhende Ideen aufzuwecken und Konzepte daraus zu stricken, zum Beispiel einen Dorfentwicklungsplan auf den Weg zu bringen: „Wir. Hier. Völksen! – Ein Dorf erfindet sich neu.“ Der Clou daran: Der Fokus liegt auf brandaktuellen Themen wie Post-Wachstumsökologie und Nachhaltigkeit. Ich begebe mich ins Gespräch mit der Dorfpolitik, Expertinnen, Landwirtinnen, jungen Familien …

Schnell sein – Ideen spinnen und Träume bergen!

Und es heißt schnell sein! Corona-bedingte Förderprogramme können auch kreativ interpretiert werden. Im April 2020 will LAND INTAKT die soziokulturellen Zentren modernisieren und weiterentwickeln. In Corona-Zeiten ist der Park mehr denn je ein großes Open-Air-Wohnzimmer. Zugleich gefährden hundert tote Fichten die Verkehrssicherheit, sie müssen dringend gefällt werden, um den Spielbetrieb dauerhaft zu gewährleisten. Eine Riesenaufgabe. Mit der Zusage im Oktober wird ein neuer Möglichkeitsraum geschaffen!

Japanisches Sommerfest um das „Haus am Park“, 2020 © privat

Im Juli zuvor bereits die große Kehrtwende, das pralle Programm: Das große Fest „100 Jahre Hermannshof“ kann tatsächlich stattfinden mit Buffet, Klang- und Lichtkunst, Jagdhornklängen und 150 Gästen an zwei Tagen. Es folgen im August Konzerte im Kultursommer der Region und ein Programm zum Großraum-Entdeckertag. Knapp 500 Gäste schlagen auf. Unser wunderschöner Park wird mehr denn je zum regionalen Kulturzentrum, Treffpunkt und Veranstaltungsort. Wir sind begeistert, auch das Hygienekonzept funktioniert!

Das „Haus im Park“ ist inzwischen ein heimliches Dorfgemeinschaftshaus. Die geniale Architektur macht’s möglich: Seitliche Gerüstnetzfolien schirmen den offenen Raum unter dem großen Dach gegen Wind und Regen ab. Die Akteurinnen und Gäste können sich wettergeschützt bei permanentem Luftaustausch frei von Coronasorgen begegnen. Täglich proben hier professionelle und Laienchöre der Region, finden Ortsratssitzungen statt, tröten die Jagdhornbläserinnen, stöhnen Teilnehmer*innen beim Reha-Sport, trifft sich Rotary. Man gibt sich die gut geputzte Klinke in die Hand. Als dann die kalte Jahreszeit beginnt und alle denken, die schöne Zeit im Freien mit gemeinsamem Singen und Musizieren auf Abstand sei vorbei, wird dem Verein ein Infrarot-Heizstrahlsystem unter dem großen Dach spendiert. Ortsrat Völksen, Stadt Springe, Sparkasse Hannover und Rotary sind die Gönner aus nächster Nachbarschaft.

Das Programm NEUSTART KULTUR will Eingänge modernisieren und erweitern. Beantragt werden „Tore für Völksen“. Das Ziel ist, den Park besser an das Dorf anzubinden, ihn durchlässiger zu machen für die Völksenerinnen, neue einladende Eingänge zu schaffen und dabei womöglich noch einen lang vergessenen historischen Haselnuss-Gang im Park wiederzubeleben. Es ist noch vieles möglich – bis hin zu einer personellen Förderung eines Corona-bedingten Mehraufwands für die Mitarbeiterinnen.

Blick nach vorn

So werden auch in schwierigen Corona-Zeiten mithilfe guter Förderkontakte und sinnvoller Hilfsprogramme Wünsche zu erreichbaren Zielen, so wird jeden Tag von neuem die Brücke geschlagen zwischen „Kunst und Begegnung“, sodass ein großer Mehrwert für die Künste und für alle Beteiligten entstehen kann. Ich wünsche mir viele weitere Projekte und Begegnungen, die im Inneren berühren und in Erinnerung bleiben. Es wäre zu schön, wenn aus dem Chaos und Stillstand dieser Krise dauerhaft neue Perspektiven für die Soziokultur – und für die Zukunft des Hermannshofs – erwachsen.

Eckhart Liss

ist künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Vereins Kunst und Begegnung Hermannshof e.V. in Springe-Völksen