Kultur vor der Haustür erleben – zu Fuß oder per Fahrrad ein Kulturevent aufsuchen oder selbst Gastgeber*in für außergewöhnliche Kultur sein, das ist auf dem Lande nicht selbstverständlich. Doch ein aktives Kulturleben bedeutet Lebensqualität, trägt zum Selbstwert einer Gemeinschaft bei und hat eine wichtige identitätsstiftende Aufgabe. Die positive Wirkung verstetigter kultureller Projekte im ländlichen Raum lässt sich anschaulich an dem regionalen Festival „SE-KulturTage“ darstellen, das bereits
im achten Jahr das kulturelle Leben im Kreis Segeberg auf vielfältige Weise sichtbar macht. Der Kreis Segeberg (SE) fungiert als kommunaler Initiator, Finanzier und Auftraggeber mit dem Anspruch, eine gesicherte Infrastruktur zur kulturellen Grundversorgung im ländlichen Raum vorzuhalten. Zusätzlich wurde das Projekt für drei Jahre durch das Bundesförderprogramm LandKULTUR flankiert. Der Verein
für Jugend- und Kulturarbeit im Kreis Segeberg e.V. (VJKA) mit der Teileinrichtung KulturAkademie Segeberg ist von Beginn an Träger des Projektes.
„Man spürt die Liebe und die Leidenschaft.“
Gast der SE-KulturTage

SE-KulturTage
Seit 2014 richtet sich das jährlich wiederkehrende 17-tägige Festival „SE-KulturTage“ mit Veranstaltungen aus Musik, Literatur, Theater und Bildender Kunst an alle Kulturinteressierten, an Familien und ihre Kinder, an Jugendliche und Seniorinnen sowie an Einheimische und Gäste aus der Region. Im Rahmen des Festivals stellen rund 400 Kulturschaffende aus der Region zirka 70 kulturelle Events in bis zu 25 Orten des Kreises Segeberg selbständig auf die Beine. Leichte Muse, kontroverse Kunst und anspruchsvoller Feingeist beschreiben die nicht selbstverständliche kulturelle Bandbreite. Mit dem Format „Junge Kunst“ hat sich das SE-KulturTeam zur Aufgabe gemacht, junge Künstlerinnen aktiv aufzusuchen und in das Festival einzubinden. Ziel ist es, die junge Kunst in der Region zu stärken und den jungen Kulturschaffenden auch in ihrer ländlichen Heimat Perspektiven für ihr künstlerisches Tun zu vermitteln.
„Kumm rin, sett di hen.“
Gast der SE-KulturTage
Die beiden Veranstaltungsformate „SE-KulturDorf“ und „SE-KulturNacht“ tragen innerhalb des Festivals seit drei Jahren dazu bei, neue Akteur*innen für Kultur zu begeistern. Anliegen ist es dabei, den Blick für ungewöhnliche Kulturorte in der Region zu schärfen. Diese werden mit künstlerischen Aktionen bespielt. Die enorme Vielfalt der typischen Alltagsorte befeuert die Kreativität der Kulturschaffenden. Der Blick des Gewohnten verändert sich und lässt das Zuhause mit neuen Augen sehen. Diese „Kulturspuren“ inspirieren die Gemeinden für zukünftige kulturelle Eigeninitiativen.
SE-KulturDorf
Ein jeweils wechselndes Dorf öffnet seine Türen und Tore für mehrere Kulturveranstaltungen an „außergewöhnlichen“ Orten. Das Wohnzimmer, der Stall, die Scheune, der Wald, das offene Feld, das Seeufer, der alte Gutshof, die Reithalle und viele mehr werden zum Kulturort. Besonders im Fokus stehen Dörfer und Gegenden ohne eigenes Kulturleben. Die Dorfgemeinschaft wird dabei aktiv eingebunden. Zusammen mit vertrauten Nachbarinnen und Freundinnen genießen die Einheimischen die oft recht unkonventionellen Veranstaltungen quasi vor der Haustür.
„Dat hett de Peerstall noch nie erlewet.“
ein Neversdorfer
Zum Beispiel Neversdorf: Vier Pferdeboxen verwandeln sich in eine Galerie für Bilder, Skulpturen und eine Installation mit einem Pfau. Zur Vernissage werden die Besuchenden in die Magie des Ortes hineingezogen. Aus einer Ecke tauchen fremde Gestalten auf. Musik erklingt von einem Hofwagen und unter dem Scheunendach hallen klagende Worte. „Außer I gewöhnliche“ fünfminütige „Kulturblitzlichter“ überraschen mit einem mörderischen Minidrama, mit Beatboxing auf der Querflöte und einer aufwühlenden Rezitation eines Textes von Bertolt Brecht. Noch viele Monate später ist die Installation im Pferdestall spürbar und in den Ohren klingt von Stund‘ an das klagende Pferd unter dem Dach.

„Tod und Teufel, Leute! Es ist Moby Dick, den ihr gesehen habt! Moby Dick!“
aus Moby Dick von Herman Melville
SE-KulturNacht
Eine jährlich wechselnde Kirche im Kreis Segeberg ist Gastgeberin für innovative und unkonventionelle Kultur. Die atmosphärische Außenbeleuchtung der Kirche zeigt den Dorfbewohner*innen, dass es in ihrer Kirche an diesem Abend etwas Ungewöhnliches und Einzigartiges zu erleben gibt.

2018 fasziniert das Publikum die erbitterte Suche nach dem weißen Wal – eine Lesung ohne ergänzendes Bühnenbild und Kostüm, keine Requisiten, nur die Kirche selbst und die pure Schauspielkunst. 2019 sorgt Hamlet im Kirchenschiff für aufwühlende Ereignisse und einen „großartigen Theaterabend in ungewöhnlicher Kulisse“, so eine begeisterte Zuschauerin. Minimalistische Gesänge von Einheimischen verweben sich 2020 mit der Kunst eines Performancekünstlers, „befremdlich und doch beeindruckend!“, kommentiert eine Besucherin.
Das Festivalformat der „SE-KulturNacht“ steht für Feingeist und künstlerische Experimente und verwandelt die Kirche in einen Kulturort weit abseits des Gewohnten. So entwickelt sich die „SE-KulturNacht“ zu einem Kultur-Highlight und zieht auch neugierige (Groß-)Städter hinaus aufs Land.
SE-Kultur – ganzjährig und verstetigt
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) förderte über das Programm LandKULTUR von 2018 bis 2020 innovative Projekte, die kulturelle Aktivitäten und kulturelle Teilhabe in ländlichen Räumen erhalten und weiterentwickeln. Dem Team der „SE-KulturTage“ gelang es, diese Förderung für die Ideen „SE-KulturDorf“ und „SE-KulturNacht“ einzuwerben. Nach Ablauf der Bundesförderung verstetigte der Kreis Segeberg beide Formate mit einer institutionellen Förderung ab 2021– eine gelungene Anschubfinanzierung durch Bundesmittel!
Inzwischen fungiert das Dach „SE-Kultur“ generell als ganzjähriger Ansprechpartner und Dienstleister für die Kulturschaffenden des Kreises Segeberg. In ihrer Funktion als regionaler Kulturknotenpunkt des Landes Schleswig-Holstein kann die KulturAkademie Segeberg die Synergien sinnvoll nutzen, die sich aus landesweit wirksamen Strukturen und vorhandenen Konzepten vor Ort entwickeln. Sie hält Kontakt zu einem Netzwerk von mehr als 500 regionalen Akteurinnen, zum Beispiel Künstlerinnen, Veranstaltende, Kulturvereine, Kommunen, Politik, Kirchengemeinden oder Sponsoren aus der regionalen Wirtschaft.
Im Rahmen ihrer Aufgaben als Kulturknotenpunkt verantwortet die KulturAkademie Segeberg am 10. Juni 2021 eine landesweite Fachtagung zum Thema „Zwischen Klönschnack und Podcast – KulturLeben im ländlichen Raum“. Eine interaktive Ausstellung zur Kulturlandschaft Schleswig-Holsteins wird den Austausch über Potentiale und Bedarfe eines aktiven Kulturlebens im ländlichen Raum unterstützen. Die Ergebnisse dieser Tagung sollen in den Kulturbericht des Landes Schleswig-Holstein einfließen.
Die „SE-KulturTage“ manifestieren: Kultur steht für Lebensfreude und Emotion, für Zusammenhalt und Begegnung, für Entdeckung und Neugier, für Erhalt und Erneuerung und sie schafft Identität. Eine nachhaltige kulturelle Infrastruktur stärkt ein lebendiges Kulturleben. Bodenständigkeit und Anspruch müssen dabei auch im ländlichen Raum kein Widerspruch sein.