Seit Monaten wird er herbeigesehnt – der Neustart. Aus dem ganzen Land erreichten das NEUSTART Sofortprogramm ab Mai vergangenen Jahres Förderanträge. Auf fatale Weise traf die Pandemie alle Kultureinrichtungen gleichermaßen. Verschieden waren jedoch die Voraussetzungen, um ihr zu begegnen. Abhängig von der Organisationsstruktur, den Räumlichkeiten und dem geografischen Raum, in welchem die Kulturinstitutionen beheimatet sind, standen sie vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen.
Besonders im ländlichen Raum waren die meist kleineren Kulturbetriebe mit einer Extremsituation konfrontiert, die die oft ehrenamtlichen Schultern, auf denen sie ruhen, zu überlasten drohte.
Der ländliche Raum birgt wegen der grundsätzlich dünnen Besiedelung Freiräume für Kulturschaffende. Im Gegensatz zur verdichteten Großstadt findet sich vielfach Leerstand, der besetzt werden kann. Kulturorte verfügen hier oft über größere Außenbereiche oder zumindest über einen unmittelbaren Zugang zur Natur. Das birgt Vorteile, wenn es um Abstandsregeln und die Vermeidung von erhöhten Aerosolkonzentrationen geht. Solange das Wetter mitspielt, kann hier kurzfristig in den eigenen Garten oder auf die angrenzende Weide ausgewichen werden, schildert Alina Wander von WaWiTo in Mecklenburg-Vorpommern. WaWiTo steht für „Wald“, „Wiese“ und die „Tollense“, den örtlichen Fluss. Die Natur spielt für das soziokulturelle Zentrum mit seinem Kunst- und Bildungsangebot eine übergeordnete Rolle. Dank dem NEUSTART Sofortprogramm sind die Akteur*innen in Tückhude nun auch mit Kamera, Aufnahmegeräten, Computern und Beamer ausgestattet und können dies für ihre Kulturarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einsetzen. Alina Wander ist optimistisch: „Wir schaffen den Neustart! Dank digitaler Professionalisierung“.
Ländlicher Raum ist geprägt von Breitenkultur, einem meist niedrigschwelligen Kulturangebot mit Nähe zur Lebensrealität der Menschen vor Ort – einer Nähe, die ein Wir-Gefühl erzeugt, auf welchem ehrenamtliche Kulturarbeit aufbaut. Das Ehrenamt ist die tragende Stütze vieler Einrichtungen, ganz besonders auf dem Land.
Das sind Vorzüge, die sich im Stresstest der Pandemie in Nachteile verkehren können, wenn dem Pandemie-Sommer ein Pandemie-Herbst und ein Lockdown-Winter folgen, die Breitenkultur mit einem schleppenden Ausbau des Breitbandnetzes ringt, die Ehrenamtlichen zu einem großen Teil Risikogruppen angehören und Kinder und Jugendliche, die primär über die Schule oder Kita erreicht werden, dort nicht mehr anzutreffen sind. Hinzu kommt das althergebrachte Problem der rudimentären Verkehrsinfrastruktur und eingeschränkten Mobilität bei häufig weiten Anfahrtswegen.
Lösungsansätze in Pandemie-Zeiten
Als die mittelausreichende Stelle wirkt der Bundesverband mit dem NEUSTART Sofortprogramm weit über die Soziokultur hinaus. Spartenübergreifend widmen sich über zwanzig Förderreferentinnen der überwältigenden Zahl von 1226 Förderungen mit einem Gesamtvolumen von 27,5 Millionen Euro. Neben Leitsystemen und Desinfektionsvorrichtungen waren es vor allem digitale Formate, IT-Infrastruktur und Investitionen in ihre Außenbereiche, die den Geförderten ermöglicht wurden.
Der Land & Kunst e.V. im niedersächsischen Asendorf hat Einzelpersonen, Paare und Familien zum Gespräch auf die sogenannte „Corona-Bank“ eingeladen. So wurden auf einer Bank im Grünen Begegnungen mit Abstand sowie der Austausch von Eindrücken und Geschichten möglich. „Viele Gedanken, viel Innehalten und Hoffnung auf Wandel, […] – viel Leben bekam so einen Raum“, berichtet Peter Henze. Leben, das mit geförderter Bild- und Videotechnik für die Nachwelt festgehalten wurde und nun in die Außenwelt gesendet werden kann.

Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, dass gerade „kleine Einrichtungen verletzlich [sind]“, wie Wolfgang Weber von der Gedenkstätte Point Alpha festhält, die vom Sofortprogramm bei der Einrichtung von großflächig verfügbarem WLAN und kontaktfreien Hörsäulen unterstützt wurde. Manche stellten bei NEUSTART ihren ersten Fördermittelantrag. Auch größere Einrichtungen, wie das Pfahlbauten Museum am Bodensee mit bis zu 300 000 Besucherinnen jährlich, bekamen erstmals „Geld aus Berlin“, wie es in Unteruhldingen heißt. Mit der Förderung wurden hier analoge und digitale Maßnahmen entlang der gesamten „Visitor Journey“ umgesetzt. Begonnen bei Inhalten für den Internetauftritt, einem virtuellen Rundgang, einem Online-Ticketing-System, über Tensatoren für das Leitsystem, eine Wandzeitung als „fliegende Ausstellung“ für den Außenbereich des Freilichtmuseums bis hin zu einem ergänzenden WC-Container, der in jenem besonderen Ballungsbereich entzerrend wirkt, wurde hier ein ganzheitlicher Ansatz gewählt.

Die meiste Flexibilität und damit einhergehend ein gesteigertes Maß an organisatorischer Resilienz bietet letztlich der aus den Kulturmanagement-Büchern bekannte Maßnahmen-Mix. Wer zu sehr auf eine Karte setzt, dem kann hieraus schnell ein Nachteil erwachsen.
Wie soll der ländliche Neustart aussehen?
Die ernüchternde Realität dieser Tage: Mit dem erneuten Lockdown der Kultur seit November kann im Grunde abermals keine Einrichtung ihre bisherige Kernleistung erfüllen. Was den meisten vorerst bleibt, sind Erschöpfung, Erwartungen und offene Fragen, wie die, was es in Zukunft und für den Neustart nach dem erneuten Lockdown braucht. Kulturschaffende auf dem Land antworten darauf immer wieder mit dem Wunsch nach Sichtbarkeit, mit der Sorge, neben den großen Häusern und Leuchtturmprojekten im urbanen Raum in Vergessenheit zu geraten, und mit der Hoffnung, dass die Politik den „Mut“ findet, sich zu ihrem ländlichen Kulturbetrieb zu bekennen und ihn nachhaltig zu stützen. Sie unterstreichen, der Neustart oder besser die Post-Corona-Zeit dürfe keine Rückkehr zu einem Zustand vor Corona werden, denn schon zuvor bestanden erhebliche Mängel zu Lasten der kulturellen Arbeit auf dem Land. Ein „Weiter so!“ soll es in keinem Fall werden.
Mit NEUSTART konnten aus einer Notsituation heraus vielerorts überfällige erste Schritte, wie die im Bereich der Digitalisierung, unternommen werden. Die Pandemie hat hier als Kontrastmittel gewirkt und althergebrachte Problemfelder noch schärfer zu Tage treten lassen. Der Bedarf und der Wunsch, digitale und analoge Räume überhaupt und besser gestalten zu können, waren bereits weit vor der Pandemie ausgeprägt. Die Ausnahmesituation der vergangenen Monate hat den Handlungsdruck auf allen Ebenen noch einmal deutlich verstärkt.
Wie aus der Bezeichnung hervorgeht, kann ein NEUSTART Sofortprogramm nur ein Anstoß für die Kulturlandschaft sein, an welchem trotz und gerade wegen geleerter Kassen und Pandemiefolgen angeknüpft werden muss, damit daraus eine nachhaltige Entwicklung erwächst. Die geförderten Akteur*innen betonen in vielen Fällen, dass Kultur in den Kommunen nicht länger eine freiwillige Aufgabe sein sollte und unterstreichen ihre gesellschaftliche Relevanz.
Sowohl die Museen als auch die Bühnen und die Soziokultur werden, wenn sie eine gesellschaftliche Gestaltungsfunktion behalten wollen, auch nach dieser einen spezifischen Krise um geeignete Rahmenbedingungen kämpfen müssen – besonders auf dem Land.