Wir brauchen Orte der absoluten Ruhe …

Mai 23
|
|

… um wieder richtig hören zu können. Das stellten vor mehr als zehn Jahren die Akteurinnen des Projekts „Hörstadt“ fest. Das Projekt war weit in die Zukunft gedacht. Es wurde im Rahmen des Programms von „Linz – Kulturhauptstadt Europas 2009“ initiiert und zielte auf eine bewusste und menschenwürdige Gestaltung unserer hörbaren Umwelt. Verschiedenste gesellschaftliche und kulturelle Kräfte unterstützten das Vorhaben. Es setzte sich unter anderem zusammen aus der Kampagne „Beschallungsfrei“, der „Schallschleuse“ und dem „Akustikon“ als Welt des Hörens im Zentrum von Linz.

Dem Projekt „Hörstadt“ lag die Überzeugung zugrunde, dass der Mensch bis ins Innerste von allem berührt und beeinflusst wird, was er hört. „Hörstadt“ engagierte sich daher für eine dem Menschen gerechte akustische Umwelt. Die zentrale Forderung von „Hörstadt“ lautete: Der akustische Raum muss als politischer Raum begriffen und bewusst gestaltet werden. „Schluss mit dem Missbrauch unserer Ohren, Stopp der Dauerbeschallung von der Wursttheke bis zum Klo“, forderte Peter Androsch, Musikchef der Kulturhauptstadt und Sprecher von „Beschallungsfrei“, und übergab die zweifelhafte Auszeichnung, ein stilisiertes Ohr, in dessen Mitte ein Nagel getrieben wurde, an die sprachlose Filialleiterin von Pimkie – dem „Zwangsbeschaller Nr. 1“.

Die Projektakteurinnen stellten fest, dass die zunehmende Emission von Schall weitreichende körperliche und seelische Auswirkungen hat. Sie beeinflusst schließlich die Gesellschaft grundlegend und andauernd und muss daher in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt werden: Der an allen Orten gleich klingende Verkehrslärm hat die einst individuellen Klanglandschaften der Städte zu einem monotonen Brausen planiert, dessen auch mit teuersten Lärmschutzmaßnahmen niemand mehr Herr wird. Architektur, Verkehrs- und Raumplanung sind zu „tauben“ Disziplinen geworden, in denen ohne Bedenken akustischer Folgewirkungen gehandelt wird. Die technischen Revolutionen der letzten Jahre haben eine zeitlich und räumlich umfassende Beschallung ermöglicht, die mit einer Ökonomisierung des Hörens einhergegangen ist: Längst werden Produkte vom Auto bis zum Keks auch akustisch gestaltet, um Qualität zu suggerieren oder auszudrücken. Supermärkte, Geschäfte, Einkaufszentren, Restaurants, Warteräume, Telefonwarteschleifen und sogar Toiletten unterziehen täglich Millionen Bürgerinnen einer mehr oder weniger absichtsvollen Zwangsbeschallung mit Musik.

Mit dem „Ruhepol“ im Zentralkino gab es bei „Linz 2009“ mitten in der Stadt das Angebot, an einem nichtreligiösen Ort absolute Stille zu erleben. Der Vorschlag des Wiener Stadtforschers und Akustikhistorikers Peter Payer griff damit eine Idee des frühen 20. Jahrhunderts auf. Schon vor fast hundert Jahren verwirklichte der Arzt R. Sommer in Dresden eine Ruhehalle, die von den Besucherinnen der Hygiene-Ausstellung damals rege frequentiert wurde.

Heute hat der Verkehrslärm noch zugenommen, auch die „Zwangsbeschallung“ in den Geschäften findet immer noch statt. Hinzu kommt die ständige persönliche „Beschallung“ mit unserem eigenem Programm. Es ist Zeit für Stille.


Die Meinung wurde formuliert auf Grundlage der Dokumentation des Kulturhauptstadtbesuches des FSJ Kultur des Kulturbüros Rheinland-Pfalz in Linz im Jahr 2009.

Margret Staal

ist Mitglied des Vorstands der LAG Soziokultur und Kulturpädagogik Rheinland-Pfalz e.V. und des Vorstands des Bundesverbandes Soziokultur e.V.