2009 wurde der Verein Kunst und Kulturbaustelle 8001 in der Neustadt gegründet. Ein Ziel war von Beginn an, den Erwartungen aus dem Stadtteil zu begegnen, Aktionen und Programm auch an den Bedürfnissen der Nachbarschaft auszurichten. Es gab Kurzfilmabende, Jazzkonzerte, ein interkulturelles Musikprojekt entstand. Je stärker der Fokus auf dem Stadtteil lag, desto deutlicher wurde die Aufgabe, nicht nur Kultur für „die Stadt“ zu schaffen, sondern auch ganz gezielt für die Menschen vor Ort. Die Kunstbaustelle wurde auch ein Stadtteilprojekt. Allerdings ermöglichte erst die Förderung durch das Programm UTOPOLIS, mit den vorhandenen Mitteln auf die besonderen Herausforderungen im Stadtteil wirklich einzugehen.
Der Stadtteil Flensburg-Neustadt ist total „bunt“. Hier leben Menschen aus vielen Ländern und aus allen Gesellschaftsschichten. Gleichzeitig ist er relativ klein und übersichtlich. Was die Menschen im Quartier interessiert und bewegt, erfahren die Kunstbaustellen-Akteure im alltäglichen Austausch mit der Nachbarschaft, mit den vielen vorhandenen kleinen Organisationen und Vereinen und bei ihren passgenau auf die Zielgruppen ausgerichteten Veranstaltungen.
Ansichts Sachen
Auftaktveranstaltung der UTOPOLIS-Aktivitäten war die Foto-Ausstellung „Ansichts Sachen“ im November 2019. Präsentiert wurden Neustadt-Motive, welche die sichtbare Transformation im Stadtteil thematisierten. Dokumentiert wurden sowohl bauliche Veränderungen als auch das „Leben auf der Straße“. Praktisch alle Besucherinnen kannten die Motive, hatten sie aber noch nie aus der künstlerischen Sicht der Fotografinnen wahrgenommen: Das Alltägliche wurde zum Besonderen. In der zweiten Woche waren ca. 180 Schüler*innen zu Gast. In täglichen Workshops wurde über die ausgestellten Fotos hinaus auch über den Stadtteil gesprochen, über die Menschen und das eigenen Leben im Stadtteil, die Wünsche und Sorgen, die Zukunft – „Welche Zukunft?!“. Wichtig war dabei, den Jugendlichen gut zuzuhören, ihnen konkrete Fragen zu stellen und durch das ernst gemeinte Interesse auch aufrichtige Antworten zu bekommen.
Ein Thron für die Neustadt – was wollt Ihr?
Wenige Tage vor Weihnachten 2019 wurde die Nachbarschaft mit einer dreitägigen Performanceaktion auf verschiedenen Plätzen, vor Supermärkten und an Bushaltestellen überrascht. Ein mobiler Thron wurde durch den Stadtteil gefahren, laute Technoloops machten darauf aufmerksam, dass sich hier etwas abspielt. Eine solche Aktion hatte es im Stadtteil bislang nicht gegeben!
Wer wollte, und das waren einige, durfte auf dem Thron Platz nehmen und für einen Moment „Neustadtkönig*in“ sein. Nach dem feierlichen Aufsetzen der Krone konnten Wünsche und Beschlüsse verfasst werden, welche von einer Hofschreiberin notiert und auf einer Infowand am Stadtteilhaus angebracht wurden. Als „Belohnung“ gab es ein Polaroidfoto zum Mitnehmen.
Tradition und Moderne aus Palästina
Im September 2020 startete der Palästinensische Kulturverein eine Ausstellungsreihe. Den Auftakt machten Noel Louiza El Abd, die in ihren Bildern ihre innere Gefühlswelt zum Ausdruck bringt, und Miriam Miari, in deren Zeichnungen deutlich die Auseinandersetzung mit der Geschichte Palästinas und aktuellen Geschehnissen zu sehen ist. Weitere Ausstellungen sollen folgen.
Die letzte Ausstellung vorm Lockdown
„Wood4urhood“, der Name ist Programm: Inspiriert von dem früheren Holzskulpturenprojekt „Wurzeln & Freiheit“ wollten Künstlerinnen aus dem Stadtteil zwanzig Jahre später neue Werke für das Quartier erschaffen. In Stadtteil-Rundgängen wurden Ideen gesammelt, ausgetauscht und weiterentwickelt, um die so entstandenen Entwürfe in der Kunstbaustelle auszustellen. Der Clou daran war, dass die Anwohnerinnen ein Stimmrecht und damit die Möglichkeit hatten, selbst zu entscheiden, welche Idee an welchem Ort realisiert wird. Sowohl Erwachsene als auch Kinder begutachteten, bestaunten und kritisierten die Entwürfe und stimmten für ihren Favoriten ab.
Partizipation auf Abstand
Trotz der Corona Bedingungen konnte 2020 mit „Exit2Future“ ein theatrales Großprojekt umgesetzt werden. Das partizipative Stadtteilspiel unter freiem Himmel, mit Masken und eingehaltenem Abstand von 1,5 Metern, bestand aus fünf Stationen: Die Zuschauerinnen wurden zu Mitspielerinnen, die den Hergang des Spiels beeinflussen und auch eigene Rollen definieren konnten. An einer Station wurde das Leben der Menschen unter Kriegsbedingungen thematisiert. Die Frage „Wie muss eine Stadt in der Zukunft gestaltet sein, damit so etwas nicht passieren kann?“ wurde von allen Gästen beantwortet. Nach 45 Minuten waren alle Informationen gesammelt, um am „Exit2Future“-Tor das Spiel zu verlassen.

Ein Magazin für die ganze Stadt
Im Dezember 2020 wurde die Erstausgabe des Stadtteilmagazins „Trafo“ gedruckt: ein Magazin aus dem Stadtteil, für das Quartier und ganz Flensburg. Es stellt Menschen, Projekte, Ausstellungen und Initiativen in den Rubriken Kunst & Kultur sowie Kinder- & Jugendarbeit vor. Es hat Neustadtperspektiven der Bewohner*innen eingefangen und wirft dabei einen Blick auf aktuelle Transformationen in der Stadtentwicklung. Es setzt Impulse zur Zivilgesellschaft, auch Neuigkeiten und nützliche Informationen, um selbst aktiv zu werden, kommen nicht zu kurz. Das Magazin ist eine Innenschau auf den Stadtteil und trägt zugleich die Kerngedanken des „Transformation in der Neustadt“-Projektes: sichtbar werden und inspirieren, Bestehendes aufzeigen und anerkennen und Möglichkeiten zum Selber-aktiv-Werden aufzeigen. Es ist eine wertschätzende Collage des Stadtteils: fragmentarisch, bunt, künstlerisch, persönlich und freudvoll. Die erste Ausgabe stellte einen Anfang dar, eine Einladung zur Weiterentwicklung und Mitgestaltung. Das digitale Pendant steht in den Startlöchern.

Veränderungen und Herausforderungen
Das Projekt ist 2020 mit seinem ersten Fahrtwind mitten in die Pandemie geraten, die auch in nächster Zeit eine besondere Herausforderung bleiben wird. Dennoch sind die Akteure der Kunstbaustelle optimistisch: Sie haben bereits erste Veränderungen bewirkt. Es gibt künstlerische Angebote, die es vorher nicht gab. Ein „Kulturrat“ wurde ins Leben gerufen, in dem auch die Stadt vertreten ist. Zudem ist ein interkulturelles Theater im Aufbau. Die Kommune hat Idee eines im Quartier so dringend benötigten interkulturellen Kulturzentrums aufgegriffen und Räume zur Verfügung gestellt. Die Neustadt in Transformation – momentan sieht es gut aus!